Marktl feiert 600 Jahre herzogliche Marktrechtsverleihung
Der Markt Marktl feierte 2022 das 600. Jubiläum der Verleihung der allgemeinen Marktrechte und des Erbrechts durch Herzog Heinrich XVI., der als Herzog Heinrich der Reiche von Niederbayern allgemein bekannt ist. Ein Festausschuss plant zurzeit den Ablauf und die Veranstaltungen im Jubiläumsjahr.
Der Marktler Heimatforscher Georg Remmelberger, auch Vorstandsmitglied im Heimatbund Marktl, hat sich mit der damaligen Zeit und besonders Herzog Heinrich dem Reichen intensiv beschäftigt und versucht Hintergründe aufzuzeigen, romantisierende Klischees zu beseitigen und die Bedeutung für Marktl zu erklären.
Grundlage dieser Festlichkeiten ist die Urkunde des Herzogs Heinrich vom 29. Januar 1422, die er einer Abordnung der Marktler Bürgerschaft auf untertänigstes Bitten auf der Burg in Burghausen überreichte. In der Urkunde erteilt Herzog Heinrich „den getreuen Bürgern im Märkhtl“ erstens Erbrecht auf ihren Urbarsgütern, den sogenannten Burglehen, gegen Reichung der herkömmlichen jährlichen Gilt laut altem Urbarsbuch. Zweitens gewährt er „all die Rechte und Freyheiten als ander unser Stätt und Märkht haben“ im Herzogtum Niederbayern.
Diese später immer als „Erbrechtsbrief“ oder „erster Freiheitsbrief“ titulierte Urkunde bedeutete für den kleinen Marktflecken, dass er ab sofort rechtlich allen anderen herzoglichen Märkten und Städten gleichgestellt wurde.
Faktisch war Marktl im Jahr 1422 bereits ein kleiner Markt. Denn um 1250/1260 gründeten die Grafen von Leonberg in ihrem hiesigen Herrschaftsgebiet die drei Märkte Tann, Gangkofen und auch Marktl. Den Grafen war es zur damaligen Zeit nur erlaubt, Märkte zu gründen. Die damaligen Herzöge Ludwig der Kehlheimer (Regierungszeit 1183 – 1231) und Otto II. (1231 – 1253) gründeten dagegen, vorwiegend Städte, so zum Beispiel: ca. 1204 Landshut, 1218 Straubing, 1224 Landau/Isar, 1230 Burghausen, 1231 Neuötting und 1251 Trostberg. Die herzoglichen Städte mussten zu ihrem Schutz eine hohe Stadtmauer errichten, die Märkte der Grafen durften sich dagegen nur mit einem Graben und Holzzaun schützen. Damit wollte der Herzog die Verteidigungsfähigkeit der Grafen bei einem kriegerischen Konflikt schwächen.
Dass die kleine Siedlung Marktl um 1260 schon existierte, zeigen uns zwei Urkunden von 1269 und 1270. In der ersteren Urkunde wird als Ausstellungsort ein Ort „apud Lewenberg“ (zu Deutsch bei Lewenberg) und in der zweiten Urkunde ein Ort „apud Stamheim“ bezeichnet. Das heißt, der Ausstellungsort der Urkunden war zwischen der Burg Leonberg und dem Pfarrort Stammham und hatte noch keinen eigenen Namen.
Nach schriftlicher Überlieferung wurde im Jahr 1297 die Kirche „St. Oswaldi in forulo“, zu Deutsch „im kleinen Markt“, geweiht. Die Siedlung Marktl war im Jahr 1422 also bereits ein kleiner Markt, ihm fehlte nur die herzogliche Bestätigung dazu. Die Herzöge Stephan, Friedrich und Johann von Bayern, hatten nämlich den Ort „Markchtel zu Stamheim“ am 25. Juni 1386 mit dem Markt Tann von den Grafen von Ortenburg gekauft.
Marktl könnte nach Meinung Remmelbergers im Grund genommen deshalb bereits die 750-Jahrfeier als Markt begehen und ist nach Burghausen und Neuötting der einzige Ort im heutigen Landkreis Altötting, der auf herzogliche Privilegien als Markt verweisen kann. Tüßling erhielt zwar 1377 über den damaligen Hofmarksherrn, den Ritter Seifried von Törring, von den Herzögen von Bayern das Marktrecht verliehen, mit der Marktrechtsverleihung war aber weder die Selbstverwaltung der Einwohnerschaft noch die Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit verbunden. Um 1690 verlor Tüßling zudem den Status eines gefreiten Markts. Unsere Kreisstadt Altötting wurde erst 1845 zum Markt und 1898 zur Stadt erhoben.
Die Urkunde von 1422 bedeutete für die Einwohner von Marktl, dass sie nun richtige Bürger waren. Außer Marktl gab es, wie zuvor erwähnt, nur in Burghausen und Neuötting Bürger. Als Bürger durften sie jetzt als Oberhaupt einen Amtskammerer und einen Marktrat mit vier Personen wählen. Ab 1422 übten sie also eine Selbstverwaltung aus, die alle anderen Landgemeinden erst 1818 erhielten. Der Rat mit dem Amtskammerer an der Spitze konnte jetzt selbstständig über die Ansässigmachung auswärtiger Handwerker und Verleihung des Bürgerrechts verfügen und die niedere Gerichtsbarkeit ausüben. Handwerker durften sich nach damaligem Recht nur in Städten und Märkten niederlassen, und auch Wochen- und Jahrmärkte durften nur dort abgehalten werden.
Die Verleihung des Erbrechts statt des bisherigen Leibrechts auf Lebenszeit bedeutete für die Bürger, dass sie nun ihre Burglehen auf den Sohn oder die Tochter sicher übergeben konnten. Die Vererbung war nun geschriebenes Recht und nicht bloß – wie bisher – eine Gnade des Grundherrn. Alle Klöster und Kirchen verliehen ihre Bauernhöfe dagegen immer nur auf Leibrecht.
Leider ist dieser Erbrechtsbrief vom 29. Januar 1422 im Original nicht erhalten geblieben. Der Amtskammerer und Rat von Marktl beantragten nach dem Dreißigjährigen Krieg bei Kurfürst Max Emanuel untertänigst eine Neuausstellung der für sie so wichtigen Urkunde, da diese „in Schwedenszeiten hinweck khomben“ sei. In einem Transumpt (beglaubigte Abschrift) vom 15. Mai 1691 bestätigte der Kurfürst in München seinem Markt die alten Privilegien und Freiheiten.
Weiter hat sich dieser wichtige Erbrechtsbrief als Abschrift auch in einem alten Urbarsbuch von 1589 im Archiv des Heimatbundes erhalten. Der Nachbarmarkt Tann, ebenfalls eine ehemalige Marktgründung der Leonberger Grafen, erhielt das Erbrecht von Herzog Heinrich bereits ein Jahr früher, im Jahr 1421.
Warum vergab nun Herzog Heinrich um das Jahr 1421 diese sogenannten „Erbrechtsbriefe“ an seine Marktbürger und auch an viele herzogliche Bauern? Nach Ansicht Remmelbergers sicherlich nicht aus Gnad und Barmherzigkeit oder aus Fürsorglichkeit, wie es früher in Marktl allgemein überliefert wurde.
Ein triftiger Grund sei nach alter Überlieferung folgender gewesen: So sollen die Marktler Schiffleute die Vorfahren Herzog Heinrichs mehrmals auf gefahrvollen Schifffahrten auf dem Inn nach Wien gebracht haben, was diesen bewog, dem kleinen Markt die oben genannten Rechte und Freiheiten zu gewähren.
Aber warum wollten die niederbayerischen Herzöge damals nach Wien? Der erste Habsburger Herrscher, der zum deutschen König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt wurde, war Herzog Albrecht von Österreich, das war erst im Jahr 1438. Vorher war Wien keine königliche bzw. kaiserliche Residenzstadt. Dies war damals Prag. Unser Herzog Heinrich hatte aber 1412 die Tochter Margarethe des Herzogs von Österreich geheiratet.
Deshalb mussten sein Vater und er wohl mehrmals zur Brautschau und Heiratsverhandlungen nach Wien reisen, was die Marktler Schiffer zur Zufriedenheit des Herzogs erledigten. Die kleine Schiffer- und Handwerkersiedlung Marktl war ja damals nach Erwerb durch die Wittelsbacher im Jahr 1386 der Schifffahrtshafen der niederbayerischen Nebenresidenz Burghausen geworden, so wie Wasserburg immer der Hafen der oberbayerischen Herzöge in München war. Die schnellste und sicherste Verbindung von Burghausen nach Wien war der Schifffahrtsweg ab Marktl.
Der Hauptgrund für die Verleihung des Erbrechtsbriefs an die Marktler Bürger sieht Remmelberger aber woanders und will deshalb mit den überlieferten Klischees des gütigen und fürsorglichen wittelsbachischen Landesherrn aufräumen. Der niederbayerische Herzog stand seit 1420 mitten in einem erbarmungslosen und äußerst grausamen Krieg mit seinem Vetter Ludwig dem Gebarteten, Herzog von Bayern-Ingolstadt. Beide Kontrahenten verwüsteten und verbrannten Bauernhöfe, Weiler und Dörfer der Gegenseite. Beide Herzöge brauchten Geld, viel Geld, zur Anwerbung von Söldnern und zur Kriegsführung.
Deswegen verlieh, besser verkaufte, Herzog Heinrich in seinem Herzogtum Niederbayern das Erbrecht an seine Urbarsuntertanen, was ja eine erhebliche Verbesserung der Anwesenbesitzer bei der Hofübergabe bedeutete. So nutzten auch die Bürger von Tann und Marktl diese Gelegenheit und erwarben 1421 bzw. 1422 gegen Geld das begehrte Erbrecht. Ebenso erkauften sich damals viele herzogliche Bauern auf dem Land das Erbrecht. Was der Erwerb des Erbrechts kostete, ist nicht bekannt, er füllte jedenfalls die Kriegskasse des niederbayerischen Herzogs.
Heinrich war der Überlieferung nach ein sehr jähzorniger, rachsüchtiger und brutaler Herrscher. Gleich nach der Regierungsübernahme 1397 setzte er entgegen aller überlieferten Rechte seiner Vorfahren mit Gewalt durch, dass er die Amtskammerer, Stadt- und Markträte selbst ernennen konnte. Außerdem verbot er in seinem Herrschaftsbereich die alt hergebrachten Handwerkszünfte. Er zog alle Macht an sich. Nach einem heftigen Streit mit dem Stadtrat von Landshut befahl er im Jahr 1408 hinterlistig alle Ratsherren zu Verhandlungen zu sich auf die Burg, ließ sie kurzerhand gefangen nehmen, enteignen und aus der Stadt Landshut vertreiben.
Daraufhin kam es 1410 zu einem Aufruhr und Aufstand der Stadtzünfte. So trafen sich rund 50 Verschwörer aus Handwerk und Gewerbe in der Karfreitagsnacht heimlich, um gegen den Tyrannen auf der stark befestigten Burg vorzugehen. Da die Zusammenkunft durch ein Eheweib verraten wurde, ließ der Herzog die Verschwörer festnehmen und verübte an ihnen und der Bürgerschaft ein brutales und grausames Strafgericht, das berühmte Landshuter Strafgericht. Er ließ viele Männer der Verschwörungsrunde noch in derselben Nacht köpfen. Weiter befahl er, Mitglieder von fünfzig angesehenen Landshuter Familien hinzurichten, zu blenden, eine Hand abzuhauen, oder aus seinem Herzogtum bettelarm zu vertreiben. Das gesamte Vermögen dieser Familien raffte er an sich und ließ mit diesem Geld seine Burg und Residenz in Landshut erheblich verstärken und erweitern, auch im Hinblick auf den zu erwartenden Krieg mit seinem Ingolstädter Vetter. Aufgrund dieses geraubten Vermögens bekam Herzog Heinrich später wohl als erster niederbayerischer Herrscher den Beinamen „der Reiche“.
Noch eine weitere Begebenheit zeigt uns die Skrupellosigkeit des niederbayerischen Wittelsbachers. Im Jahr 1421 zerstörte Heinrich ohne vorgeschriebene Fehdeansage nach kurzer Belagerung dem Ritter Caspar von Törring seine Stammburg in Törring, weil er diesen der heimlichen Zusammenarbeit mit Ludwig dem Gebarteten, Herzog von Bayern-Ingolstadt, verdächtigte. Da Caspar von Törring und seine Gemahlin ahnungslos zu dieser Zeit nicht zu Hause waren, wurde die Burg nur von wenigen Bewaffneten verteidigt. Vor der kompletten Zerstörung der Burg ließ Heinrich sie restlos ausplündern, nahm die Geschmeide und gold- und silberbestickten Kleider der edlen Hausfrau ganz unritterlich an sich und ließ zudem noch die wertvollen Jagdhunde des Törringers brutal erschlagen. Die Steine der Burg ließ er von Bauern auf die Burg Burghausen transportieren, wo er angeblich daraus den Törring-Zwinger erbauen ließ. Auch die Abgaben der Törring-Bauern ließ er jahrelang widerrechtlich in die Schatzkammer nach Burghausen fließen. Der mittellose, ausgeraubte Törringer versuchte jahrelang, sein Recht und eine Wiedergutmachung durch das Femegericht in Westfalen, dem höchsten Gericht im Heiligen Römischen Reich, zu erlangen. Zuallerletzt ließ ihn der unerbitterliche Herzog Heinrich 1429 durch einen gedungenen Meuchelmörder im Kölner Dom brutal erstechen. Das Beispiel zeigt: Herzog Heinrich duldete keinerlei Widerspruch.
Als Herzog Heinrich schließlich 1450 in Landshut armselig an der Pest starb, war das nach Meinung des Volkes die gerechte Strafe Gottes für seine viele Gräueltaten. Die Trauer um seinen Tod soll sich im Land und besonders in Landshut in Grenzen gehalten haben. Mit heutigen Maßstäben beurteilt würde man Herzog Heinrich als skrupellosen, brutalen Tyrannen, Mordbrenner, Massenmörder und Totschläger bezeichnen.
Was bedeutete der herzogliche Erbrechtsbrief, der auch als erster Freiheitsbrief benannt wird, da 1477 noch ein Brief über die Verleihung eines Wappens und 1535 ein Brief über die Verleihung von Wochen- und Jahrmärkten folgten, für unseren Markt Marktl? Nach Remmelberger lässt sich festhalten, dass vor allem die Verleihung der allgemeinen Freiheiten und Rechte als herzoglicher Markt einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung für die bisher kleine gräfliche Handwerker- und Schiffersiedlung am Inn brachte. Ursprünglich gab es seit der Gründung durch die Grafen von Leonberg um 1250 nur 20 Burglehen in Marktl, im Jahr 1589 zählte man bereits zusätzlich 30 weitere Handwerker- und Austragshäusl und im Jahr 1850 zählte man insgesamt 43 Handwerks- und Gewerbebetriebe. Mit der Verleihung der allgemeinen Marktrechte durch Herzog Heinrich war ein stetes Aufblühen des Handwerks und Gewerbes verbunden.
Außerdem war Marktl von 1422 bis 1818 neben Burghausen und Neuötting der einzige Ort im heutigen Landkreis Altötting, der sich mit Amtskammerer und Rat selbst verwalten durfte.